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Christina


Hallo,


ich bin Christina, 43 Jahre alt und ich bin mit einer Dysmelie an der linken Hand zur Welt gekommen. Zusammen mit meinem Mann und unseren zwei Dalmatinerhündinnen lebe ich im Landkreis Hildesheim.


Ich bin Pädagogin, Trauerbegleiterin, SeelenSport-Trainerin und als Coach für Frauen selbstständig. Ich coache Frauen mit und ohne Handicap und bestärke sie in ihrer Einzigartigkeit, ihrer Selbstliebe und in ihrem Selbstwert.


Mit meiner Behinderung bin ich viele Jahre nicht verbunden gewesen. Ich habe mich so oft als unvollständig und auch als weniger Wert angesehen. Ich habe meine

linke Hand so oft verborgen oder auch ganz bewusst versteckt. Und das war so anstrengend und ich habe mich irgendwie unfrei gefühlt. Ich wollte sie nicht haben.

Meine Mutter berichtet, dass ich in der Kindergartenzeit und auch in der Schule immer etwas anziehen wollte, das Taschen hat, damit ich meine Hand verstecken konnte.

Und das hatte sich bis vor ein paar Jahren nicht wirklich geändert. Zum Beispiel habe ich in Restaurants oder im Beisein von anderen, immer das gegessen, wofür ich kein Messer brauchte.


Ich habe mir einiges nicht zugetraut. Ich hätte so gern Klavier spielen gelernt , dachte aber, dass es ja mit nur 5 Fingern nicht geht. Oder Gitarre spielen genauso. Mit 16 Jahren habe ich angefangen Trompete zu spielen und dann irgendwann auch Tenorhorn. Und vor zwei Jahren habe ich kurzzeitig begonnen, Gitarre spielen zu lernen. Mit einer Linkshänder-Gitarre. Es kann so einfach sein.


Und ich habe Fußball gespielt. Denn auch das war ja in meinen Augen machbar.

Im familiären Rahmen hatte ich durchaus die Unterstützung, wurde und werde so geliebt, wie ich bin. Was aber für mich im Nachhinein immer gefehlt hat, war die absolute Bestärkung, das darüber sprechen, wie ich Situationen erlebe, was Erlebnisse oder vor allem auch neue Situationen, das Aufeinandertreffen mit mir unbekannten Menschen, mit mir im Vorfeld machen. Das war ganz selten Thema.


Ich habe und hatte immer auch ganz feste Freundinnen und Freunde, bei denen ich so sein konnte, wie ich bin, die mir nie das Gefühl gegeben haben, dass ich „anders“ bin.


Und was mir fehlte war die Möglichkeit, mit anderen von Dysmelie betroffenen Menschen zu sprechen. Ich hatte so viele Fragen und der Austausch und das Gefühl, dass ich nicht alleine mit der Dysmelie bin, das hätte mir gut getan.


Als Kleinkind waren meine Eltern mit mir in Heidelberg und dort bekam ich so eine Art „Piratenhand“. Der Schaft fühlte sich immer total kalt an und es war oben am Schaft ein Greifhaken angebracht, den ich mit einem Band öffnen konnte, um ein Blatt dazwischen zu spannen. Ich fand diese Prothese so schlimm und habe sie nicht genutzt. Es war sogar mit viel Tränen verbunden.


In der Pubertät war ich fest davon überzeugt, dass ich mit einer Hand niemals einen Partner finden werde und ich wollte unbedingt eine zweite Hand haben. Meine Eltern sind mit mir in die MHH Hannover gefahren. Dort war der Vorschlag, dass mir zwei Zehen amputiert werden, die mir dann an die linke Hand angesetzt werden. Damit hätte ich vermutlich weniger Stabilität gehabt und auch keine wirkliche Veränderung. Ich war total enttäuscht. Ich war wütend und total frustriert.


Damit war das Thema Prothese für mich erledigt und ich habe es nicht weiter verfolgt.

Im Jahr 2020 habe ich eine Ausbildung zum Business-Coach gemacht und habe wieder angefangen, mich mit mir selbst und meinen inneren Themen auseinanderzusetzen. Und die Dysmelie war ein wichtiger Bestandteil davon. Ich habe mich zum ersten Mal intensiv mit Dysmelie auseinander gesetzt und viel recherchiert. Ich bin u.a. auch auf die Firma Össur gestoßen und auf ihre großartigen Prothesen. Und der Wunsch, eine Prothese zu bekommen, die angepasst an meine Situation war, ließ mich nicht mehr los. Ich habe Kontakt zu Össur über Claudia Breidbach, die selbst eine Prothese trägt, aufgenommen. Mit Claudia habe ich mich persönlichen getroffen und sie hat mir einiges aus ihrem Leben berichtet. Ich habe daraufhin die Prothese bei der Krankenkasse beantragt. Eine Test-Prothese wurde mir für 2 Wochen genehmigt und für mich stand nach dem Test fest, dass ich definitiv eine eigene Prothese haben möchte. Und seit Juli 2021 habe ich nun meine Prothese. Ich trage sie 1-2 Stunden pro Tag und trainiere, mit ihrer Unterstützung Handgriffe anders zu machen als erlernt. Und das ist nicht immer ganz einfach. Denn mein erlerntes Tun geht viel schneller, es ist noch ungewohnt und auch die Muskeln müssen sich erst noch bilden. Dafür mache ich zwei Mal in der Woche Physiotherapie und werde für die Feinmotorik bald auch noch Ergotherapie bekommen.


Ich trage die Prothese derzeit 1-2 Stunden am Tag zuhause, da ich noch in der Trainingsphase bin. Wenn ich mir im Umgang mit ihr sicherer geworden bin, werde ich sie in der Öffentlichkeit tragen. Ganz selbstbewusst und stolz. Sie vervollständigt mich optisch, aber auch ohne sie bin ich vollständig.


Seit ungefähr zwei Jahren zeige ich meine linke Hand ganz selbstbewusst und offen. Im Rahmen von Kursen oder Treffen spreche ich die Dysmelie von mir aus an. Damit hebe ich für mich alle blockierenden, schwermachende und bremsenden Momente von vorneherein auf und mein Leben ist seitdem ich diese Entscheidung für mich getroffen habe, viel leichter und einfacher geworden.


Ich finde es mittlerweile richtig gut, wenn mich Menschen direkt auf meine Hand ansprechen und wirklich wissen wollen, warum sie so klein ist. Es entstehen dadurch oft so gute Gespräche.


Beim Schreiben kommt gerade das Gefühl eines Stolzes in mir auf. Ja, ich bin stolz auf meine Hand und ich liebe mich jetzt genau so, wie ich bin.

Es gibt tatsächlich nichts, was ich nicht kann. Ich habe mir von klein auf alles auf meine eigene Art angeeignet. Ich bin gekrabbelt, habe häkeln und stricken gelernt, Schuhe zubinden, Fahrrad fahren, schwimmen und Autofahren und diese Aufzählung lässt sich beliebig fortsetzen.


Und jetzt, mit über 40 Jahren lerne ich wieder neues dazu. Und lerne andere Menschen mit Dysmelie kennen und das schließt die „Lücke“ endgültig.







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