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Bennett


Es war der 18.03.2020, der Termin der Feindiagnostik. Den Termin hatten wir, weil ich über 35 war und wir über die Kinderwunschklinik schwanger geworden sind. Bis dahin verlief die Schwangerschaft völlig unauffällig. Der Arzt war sehr freundlich und hat uns gesagt, was er da so alles sieht. Auf einem Fleck drückte er jedoch auffällig oft und doll rum und es tat schon ganz schön weh. Dann sagte er, er müsse kurz zu einem Kollegen und komme gleich wieder. Da wurden wir dann schon etwas nervös. Als er wieder da war, hat er uns eröffnet, dass es so aussieht, als hätte unser Sohn nur einen Teil seines linken Armes.


Er hatte am Anfang gedacht, dass er ihn möglicherweise hinter dem Rücken versteckt, weswegen er bei dieser Stelle immer mal wieder nachgeschaut hat. Aber dem war nicht so. Wir haben mit dem Arzt zusammen die Bilder angeschaut und er hat uns erklärt, woran er das sieht. Ich wusste nicht, was ich sagen soll, habe nur die ganze Zeit genickt. Das Einzige was in meinem Kopf war: Du musst stark sein und für dein Kind da sein. Als ich alleine auf der Toilette war, habe ich dann doch geweint. Nicht, weil es schlimm ist ein behindertes Kind zu haben, sondern weil mir unser Sohn so leid tat, dass er dieses Schicksal erleiden muss.


Wir wurden direkt im Anschluss zur genetischen Beratung geschickt. Im Wartezimmer ging es mir schon wieder besser und wir haben darüber nachgedacht, was er wohl für Berufe ausüben könnte und welche eher schwierig sind. Krisenbewältigungsmodus. Es hilft niemandem im Selbstmitleid zu versinken, also lieber lösungsorientiert in die Zukunft schauen.


Die genetische Beratung hat ergeben, dass es purer Zufall ist und kein genetisches Risiko für weitere Beeinträchtigungen besteht. Wenn wir es genau wissen wollen, dann sollten wir eine Fruchtwasserpunktion machen lassen, die jedoch auch erhebliche Risiken hat. Da ein Ergebnis so einer Untersuchung, egal in welche Richtung, unsere Entscheidung für unseren Sohn nicht geändert hätte, haben wir die Untersuchung nicht gemacht. Kurz haben wir zu Hause darüber geredet, was wir machen, wenn es doch ganz schlimm kommt und er zusätzlich schwerst geistig behindert ist. Wir waren uns einig, dass wir auch dann nicht das Recht haben, darüber zu entscheiden was ein glückliches Leben ist und wir als Eltern werden Lösungen finden unseren Alltag in den Griff zu kriegen.


Der erste Schock war also schnell überwunden und wir fingen an uns schlau zu machen.

Als erstes natürlich wo mögliche Ursachen liegen könnten, weil unser Sohn später bestimmt danach fragen würde, und ich wollte ihm nicht sagen, dass uns das egal war, sondern, dass wir unser Bestes getan haben, um sein Start ins Leben zu verstehen. Im Zuge dessen habe ich mich bei der Caritas beraten lassen und habe viel gelesen und Reportagen geschaut. Auf Grund dessen kamen viele Zweifel und Schuldgefühle auf. Am Anfang der Schwangerschaft war ich kurz krank. Könnte das dazu geführt haben, dass schon in der Frühschwangerschaft etwas schiefgelaufen ist? Hätte ich besser aufpassen müssen? Hatte ich irgendwelche Mineralstoffmängel, weil ich mich vegan ernährt habe? Habe ich nicht oft genug mein Blut untersuchen lassen? War der Umzug aufs Land direkt neben Felder, die gespritzt werden, falsch? Hätte ich das Fahrradfahren sein lassen sollen? Fragen, die einem niemand beantworten kann. Vielleicht gibt es einen Grund, vielleicht viele oder es ist eben einfach nur eine Laune der Natur. Meine Hebamme meinte, diese Kinder wissen schon, wen sie sich als Eltern aussuchen und dass wir das super meistern werden. Natürlich totaler Nonsens, aber trotzdem ein tröstlicher Gedanke.


Im weiteren Verlauf der Schwangerschaft musste ich dann mehrmals zur Schwangerenintensivberatung, damit die Entwicklung von Bennet überwacht werden konnte. Dort wurde mir ein Kaiserschnitt geraten, auch weil er schon so groß und schwer war. Das habe ich abgelehnt, denn so eine Geburt ist wichtig. Für Mutter und Kind. Aber ich habe mich zu einer Einleitung entschlossen, weil ich vor Wassereinlagerungen fast geplatzt wäre. Die Schwangerenintensivberatung hat mich angemeldet und auch direkt die Kinderärzte im Krankenhaus informiert, damit sie zur Geburt da sind und den Kleinen untersuchen. Eine richtige Einleitung war dann doch nicht nötig, nur der Hebammencocktail und das hat Bennet als Startschuss schon gereicht. Er war also soweit, brauchte nur eine Aufforderung. Das hat sich bis heute nicht geändert. Am Ende wurde es doch ein Kaiserschnitt, weil die Geburt zum Stillstand kam und der Kleine Stress bekommen hat. Aber wir hatten uns Mühe gegeben. Die Ärzte konnten auch nichts weiter feststellen und wir konnten unsere ersten Stunden als Familie genießen.


Am 2. Tag kam der Chefkinderarzt vorbei und Bennet hat einen Komplettscreen bekommen, um weitere mögliche zusammenhängende Erkrankungen auszuschließen. Dazu sind wir in einen extra Untersuchungsraum gegangen und ich habe neben dem Bett gesessen und konnte auf den Bildschirm schauen. Ich habe rein Garnichts erkannt und der Arzt war die ganze Zeit ruhig. Ich hatte das Gefühl ohnmächtig zu werden, wenn er mir nicht gleich sagt, dass alles gut ist.


Diese ersten Tage direkt nach der Geburt waren schlimmer als alle Gedanken während der Schwangerschaft.

Denn jetzt war es real, jetzt war da tatsächlich das kleine Baby, dass Hilfe braucht. Natürlich ist das auch bei allen anderen Müttern so, aber mit den ganzen zusätzlichen Untersuchungen, Ratschlägen und co nochmal ein Stück überfordernder. Es wurde ein Termin in Hamburg Wilhelminenstift gemacht und wir wurden bei einen Orthopädietechniker angemeldet. Ein Brief an unseren Kinderarzt wurde verfasst mit der Bitte um ein Rezept für die erste Physiotherapie. Alles ziemlich viel für 3 Tage. Aber organisatorisch gesehen, hatten wir das Rundumsorglos Paket. Und wir haben das auch alles brav gemacht. Waren in Hamburg, wo sie uns aber auch nur gesagt habe, dass sie nicht wissen, woran es liegt und das sie operativ nichts machen können. Waren zur Physiotherapie mit 4 Monaten und haben eine Prothese anfertigen lassen. Das erste Mal, als wir sie angelegt haben mit rund 5 Monaten und ich ihn im Arm hatte zum Stillen, habe ich gedankenverloren seine linke Hand gestreichelt. Als es mir auffiel und hingeschaut habe, musste ich weinen. Wieder weil mir das bewusst gemacht hatte, wie unfair das ist und mir das so leid tut. Am Anfang haben wir erstmal alles gemacht, was uns aus ärztlicher Sicht empfohlen wurde. Wir hatten ja keinen Plan. Erst nach und nach entwickelt man selber ein Bild davon, was man möchte und was nicht. Auch von Bennet haben wir uns da leiten lassen. Er macht jetzt keine Physiotherapie mehr, dafür aber Frühförderung. Und Prothesen haben wir, nutzen wir haben kaum. Ich bin der Meinung, dass es am besten ist, wenn er im Leben mit dem klar kommt, was er halt zur Verfügung hat. Hin und wieder üben wir mit der Prothese und schauen uns da auch weiter um, aber eigentlich nur, um ihn darauf vorzubereiten später selber zu entscheiden was er möchte. Und er macht das gut. Klar ist er mit seiner körperlichen Entwicklung etwas hinterher. Er fing erst mir 11 Monaten an zu krabbeln. Laufen erst mit 2 Jahren. Aber das liegt nicht ausschließlich an seinem Arm. Er ist auch von sich aus ein eher vorsichtiger und etwas fauler Typ. Das sollte man nicht vergessen.


Nicht alles kann auf einen fehlenden Arm geschoben werden. Darauf können weder wir noch er sich ausruhen.

Wir versuchen ihn viel zu fordern, Dinge alleine zu machen und seinen Schweinehund zu überwinden. Viel Selbstvertrauen ist wichtig, grade für ihn. Hilfreich ist da auch sein kleiner Bruder. Er ist nur 1 Jahr jünger und fordert ihn entsprechend heraus. Das tut ihm gut. Auch das er in eine völlig normale 0815 Kita geht. Da gibt es keine spezielle Berücksichtigung, er macht halt alles so wie die anderen Kinder es auch machen und schaut sich viel ab. Keine Ahnung, ob das der richtige Weg ist, aber wir haben uns dafür entschieden. Falls wir feststellen, dass er doch mehr und spezieller gefördert werden muss, wird der Plan halt geändert. Dazu sind Pläne doch da. Das einzige was mich jetzt noch nervt, ist, dass es keine regionalen niedrigschwelligen Angebote gibt sich mit anderen Betroffenen Eltern zu vernetzten. Sich mal zu treffen, auch damit Bennet sieht, dass er nicht der einzige ist und das es auch noch andere Beeinträchtigungen gibt. Eigentlich kennen wir überhaupt niemanden mit einem behinderten Kind. Ich hätte solche Angebote bei Beratungseinrichtungen vermutet. Ein wöchentlicher Spieltreff oder so. Aber ich finde dazu rein Garnichts. Deswegen bin ich nun am überlegen das einfach selbstständig zu organisieren. Ich brauch nur noch ein Anfang und etwas Zeit ☺

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